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Diagnose: "Auffällig"!?

Eva Fernsebner-Hammer • 28. September 2019
Was ist aufällig?

Zwischen Hysterie und Langmut: Was ist auffällig?

Eine Mutter kommt mit ihrer bald 5-jährigen Tochter in meine Praxis, da sie für ihr Alter wenig spricht – zudem ist auch die Aussprache sehr undeutlich. Andere Kinder verstehen sie oft nicht und hänseln sie deswegen. Zusätzlich wirken ihre Bewegungsabläufe unsicher und unkoordiniert. Sie hat schon einige Fördermaßnahmen durchlaufen, bisher gab es noch keine nachhaltige Verbesserung und die eigentliche Ursache der Sprachverzögerung ist nach wie vor unklar. Oder lässt sich nichts finden, weil sich die Auffälligkeit irgendwann von selbst "auswächst", wie es so schön heißt?

Es ist eine Gratwanderung, 
bei der man (oder frau) immer achtsam sein sollte: Ist das Kind nur ein Spätzünder oder gibt es tatsächlich eine Problematik, die eine „normale“ Entwicklung verzögert?
Was ist also noch im Rahmen? Was ist auffällig? Dabei helfen meistens auch die beiden Extrempositionen wenig, die man dann häufig zu hören bekommt: Die Hysterie mit dem Satz: „Da stimmt doch etwas nicht, da musst du unbedingt was tun!“ (nur was?) Oder umgekehrt der Langmut mit dem bereits oben erwähnten Satz – den man dann häufig – auch von Medizinern – zu hören bekommt: „Das wächst sich schon aus!“ (dabei schwingt häufig auch mit, doch bitte nicht so hysterisch zu sein).

Auffällig? Worauf kann man sich demnach stützen?
Bewegung ist unsere ureigenste Lernmethode: Wir bewegen uns, um zu lernen - dieses "Bewegungsprogramm" beginnt schon im Mutterleib. Zunehmende Kontrolle über Bewegungsabläufe im ersten Jahr sind eine wichtige Voraussetzung für Haltung und Gleichgewicht. Diese Kontrolle ist wiederum abhängig von einem reifen (frühkindlichen) Reflexsystem, das sich mit zunehmender Hirnreife in komplexere Bewegungsabläufe integriert.
Kinder zu beobachten, wie sie bestimmte motorische Fähigkeiten erlangen, ist ein wichtiges Zeichen für die Funktionsfähigkeit des Zentralnervensystems. Umgekehrt kann man daraus auch Entwicklungsverzögerungen ableiten.

Neuromotorische Unreife als Ursache von Auffälligkeiten
Werden diese frühkindlichen Reflexe nicht vollständig in übergeordnete Hirnsysteme integriert, so spricht man von Neuromotorische Unreife oder Entwicklungsverzögerung.
Unten angeführt sind typische Indikatoren für Entwicklungsverzögerungen, wobei nie nur ein Aspekt ein Indikator für eine neuromotorische Entwicklungsverzögerung ist. Vielmehr ist eine Häufung der genannten Faktoren mit zusätzlichen Belastungen in der Schwangerschaft, Geburt oder Neugeborenenzeit ein Hinweis auf eine neuromotorische Entwicklungsverzögerung.

Kleinkindalter:
  • Spätes Laufenlernen (älter als 18 Monate)
  • Spätes Sprechenlerenen (älter als 18 Monate)
  • Schwierigkeiten beim Anziehenlernen (z.B. Knöpfe zumachen)
  • Daumenlutschen (über 4-5 Jahre hinaus)
  • Einnässen (älter als 5 Jahre)
  • Häufige Hals-Nasen-Ohren-Infekte

Kindheit/Schulzeit:
  • Reiseübelkeit
  • Schwierigkeiten Fahrrad fahren zu lernen
  • Schwierigkeiten schwimmen zu lernen
  • Probleme beim Schreiben, Lesen
  • Ungeschicklichkeit, Schwierigkeiten beim Sport (unkoordiniert)
  • Unfähigkeit, still zu sein oder zu sitzen
  • Schwierigkeiten beim Erlernen der Uhr (analoges Ziffernblatt)
  • Schlechte Auge-Hand-Koordination (und damit Schreibprobleme)
  • Hörverarbeitungsprobleme (z.B. Gesagtes wird scheinbar nicht gehört)
  • Sprach- und Artikulationsprobleme (leise, monoton, undeutlich, geringer Wortschatz, Dysgrammatismus)

Sollten mehrere der oben genannten Auffälligkeiten zutreffen, dann kann es sinnvoll sein, sich genauer mit Neuromotorischer Unreife zu beschäftigen. Eine Anfangsberatung (INPP®) hilft mit einem eigens konzipierten Fragebogen Neuromotorischer Unreife auf die Spur zu kommen.

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