Reflexe

Frühkindliche Reflexe

Reflexe sind nicht die Funktion - sie sind die Basis für die Funktion!

"Reflexe"

Reflexe sind automatisch ablaufende körperliche Reaktionen – die keiner bewussten Steuerung bedürfen. Sie erfüllen immer einen wichtigen Schutzmechanismus. Es handelt sich dabei um ungesteuerte Zwangsbewegungen, die immer gleich ablaufen. Das klassische Beispiel ist die Hand auf der heißen Herdplatte – wir müssen uns dessen nicht erst bewusst werden, dass dies zu Verbrennungen führt, inzwischen zuckt die Hand lange weg. 

Frühkindliche oder primäre Reflexe 


sind immer gleiche unwillkürliche Bewegungen, die ersten entstehen bereits in der 5. - 8. SSW.  Sie ermöglichen uns ein erstes Bewegungstraining (z.B. der Saug-Reflex, wenn der Fötus am Daumen lutscht), helfen bei der Geburt und sichern dem Säugling das Überleben.  Es gibt eine Reihe frühkindlicher Reflexe, die wie Perlen an einer Schnur der Reihe nach ausreifen,  sich gegenseitig beeinflussen, hemmen, ablösen und ihre Funktion erfüllen (die so genannte "Waltezeit"). 


Im Laufe des ersten Lebensjahres - mit zunehmender Reife des Zentralnervensystems  - übernehmen höhere Hirnregionen die Kontrolle und diese primären Bewegungsmuster integrieren sich in übergeordnete Systeme - das Kind kommt von einer ungesteuerten zu einer zunehmend bewusst gesteuerten Bewegung. Die Reflexe bleiben aber im Hintergrund immer präsent, wenn wir sie brauchen - sie sind ein Leben lang wichtig für unseren Schutz und sichern uns das Überleben!


Außerdem sind sie die neurophysiologische Basis für

  • bewusste Bewegungskontrolle
  • Verhalten
  • Kommunikation
  • Aufmerksamkeitssteuerung
  • kognitive Fähigkeiten.


Lange Zeit war man in der Forschung der Meinung, dass frühkindliche Reflexe entweder voll präsent sind – und damit eine Behinderung vorliegt - oder „verschwunden“ sind - also völlig integriert. Tatsächlich bleiben jedoch häufig Restreaktionen frühkindlicher Reflexe erhalten - die bei einer Häufung zu richtigen "Energiefressern" werden. Man spricht von Neuromotorischer Unreife - dabei handelt es sich nicht um eine Krankheit, aber es kann zu vielfältigen Störungen kommen, die sich vor allem in Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten zeigen.

Auffälligkeiten bei fortdauernder Reflextätigkeit
  • Verhalten: Ängste, Unsicherheiten, Aggressionen, auch (Verdacht auf) ADS oder ADHS
  • Schul- und Versagensängste
  • Motorik: Koordinationsstörungen, Tollpatsch-Syndrom, abnorme Trägheit oder Unruhe
  • Lernschwierigkeiten: mangelnde Konzentration und Ausdauer, leichte Ablenkbarkeit, Lese-, Schreibprobleme, Probleme beim Abschreiben, Lese-Rechtsschreib-Schwäche, Rechenschwäche
  • Störungen aus dem autistischen Spektrum: Inselbegabungen, sozialer Rückzug, Angst vor Veränderungen, stereotype Verhaltensweisen
  • Sprachliche Entwicklungsverzögerungen (leise, monoton, undeutlich, geringer Wortschatz, Dysgrammatismus)
  • Hörverarbeitungsstörungen (Gesagtes wird scheinbar nicht gehört und verstanden)
  • Wahrnehmungsstörungen (Schwierigkeiten beim Verarbeiten der Sinneswahrnehmung im Gehirn)
  • Einnässen über das Alter von 5 Jahren hinaus
  • Keine oder nur kurzfristige Therapieerfolge (bei Therapien, Trainings oder sonstigen Fördermaßnahmen)

Frühkindliche Reflexe (Auswahl)

Moro-Reflex
Der Moro-Reflex entsteht bereits in der 9. - 12. Schwangerschaftswoche. Im Mutterleib sorgt er unter anderem für die Stimulation des Gleichgewichtssinn. Nach der Geburt stellt er eine primitive Schreckreaktion dar: Bei plötzlicher Lageveränderung streckt der Säugling die Arme von sich und atmet tief ein, danach sackt er (ev. mit einem Schrei) zusammen. 
Das Nervensystem wird auf eine lebensbedrohende Situation vorbereitet. Später transformiert der Reflex 
in eine reife Schreckreaktion (Zusammenzucken des Oberkörpers). 

  • Der Moro-Reflex als Ursache von Auffälligkeiten

    Restreaktionen eines Moro-Reflexes haben meist die weitreichendsten Auswirkungen, da sich die Personen in ständiger Alarmbereitschaft befinden. Damit ist nicht nur das körperliche, sondern auch das psychische Wohlbefinden stark beeinträchtigt:


    Wahrnehmungsstörungen:

    •   Schreckhaft (z.B. sehr geräuschempfindlich)
    •   Hörverarbeitungsschwierigkeiten
    •   Lichtempfindlichkeit

    Starke psychosoziale Auswirkungen:

    • Stimmungsschwankungen
    • Manipulativ, schwaches Ego; kann schwer Kritik akzeptieren
    • Überempfindlich und emotional instabil

    Weitere Auswirkungen:

    • Hyperaktiv oder umgekehrt sehr zurückgezogen
    • Wenig ausdauernd - leicht ablenkbar
    • Mag keine Veränderungen
    • Schnell gestört
    • Empfindliches Immunsystem (z.B. Neigung zu Allergien,...)
    • Bauchschmerzen und Verstopfung
    • Unbegründete Ängste und Befürchtungen
    • Hat ein gutes Gedächtnis für Details - vergisst aber den Zusammenhang
    • Gleichgewichtsprobleme, schlechte Balance und Koordination
    • Störungen aus dem autistischen Spektrum: Inselbegabungen, sozialer Rückzug, Angst vor Veränderungen, stereotype Verhaltensweisen

ATNR: Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex
Der Asymmetrisch Tonische Nackenreflex entsteht um die 16. - 18. Schwangerschaftswoche. Er erleichtert Bewegungen des Fötus, unterstützt den Geburtsprozess, hilft zu rotieren, in den ersten Monaten den Muskeltonus aufzubauen sowie die Auge-Hand Koordination zu entwickeln (eine wichtige Voraussetzung fürs (Ab-)Schreiben).
Der ATNR wird auch Fechterstellung genannt: Wenn der Säugling den Kopf auf eine Seite dreht, strecken sich Arm und Bein auf dieser Seite, während sich Arm und Bein auf der Hinterhauptsseite beugen.
  • Der ATNR als Ursache von Auffälligkeiten
    • Kompensation durch starke Muskelanspannung (vor allem Hals- und Schultermuskulatur)
    • Versteifung einer Körperseite
    • Ausgleichshaltung  - merkwürdige Sitzhaltung – Blatt wird um 90 Grad gedreht
    • Auffällige Sitzposition beim Schreiben (z.B. Kinder liegen seitlich auf einem Arm)
    • Ungewöhnliche Stifthaltung, starker Druck auf den Stift
    • Hält beim Schreiben die Linie nicht ein; verliert beim Lesen die Zeile
    • Schlechte Hand-Augen-Koordination (z.B. beim Ballfangen)
    • Schlechte Handschrift
    • Schreiben ungern (bevorzugen Tastatur)
    • Blatt wird beispielsweise beim Zeichnen nur auf einer Seite beschrieben
    • Kinder sind häufig intelligent – brillieren oft mündlich, können aber ihr Wissen nicht (angemessen) verschriftlichen
    • Gelesenes wird nicht inhaltlich erfasst, da der Leseprozess bereits die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt
    • Keine eindeutige Augendominanz: Wörter werden verdreht; b/d– p/q vertauscht
    • Wirkt unbeholfen und langsam
    • Mittellinienüberkreuzung oft nicht möglich
    • Bewegungen nach links oder rechts können das Gleichgewicht beeinträchtigen
TLR: Tonischer Labyrinthreflex
Der Tonische Labyrinthreflex entwickelt sich in der 12. Schwangerschaftswoche und bei der Geburt. Er ist wichtig für den Geburtsfortschritt, hilft den Kopf gegen die Schwerkraft zu halten und die Ausgewogenheit zwischen Beugung und Streckung zu entwickeln - eine wichtige Voraussetzung für Haltungskontrolle.
Geht der Kopf des Säuglings nach vorne, beugen sich auch die Beine und umgekehrt geht der Kopf nach hinten, streckt sich der ganze Körper.
  • Der TLR als Ursache von Auffälligkeiten

    Der TLR verursacht häufig Gleichgewichtsprobleme bis hin zu Höhenangst, er beeinflusst die Tonusregulation und die Steuerung der Augenbewegungen, die für Lesen, Schreiben und Rechnen notwendig sind. Er beeinträchtigt auch räumliche Fähigkeiten, da räumliche Wahrnehmung und räumliches Denken in erster Linie davon abhängen, dass das Kind über einen sicheren körperlichen räumlichen Bezugspunkt verfügt.


    Typische Auswirkungen:


    • Schlechte Haltung: krummer Rücken oder übermäßig angespannt (steif)
    • Kinder sind am liebsten am Boden oder sacken am Tisch zusammen
    • Kind kann sich Wochentage, Monate, Jahreszeiten nicht merken
    • Probleme sich anzuziehen, Ordnung zu halten, aufzuräumen, Uhr abzulesen (analoges Ziffernblatt)
    • Kann sich Regeln und Zusammenhänge nicht merken
    • Zahlen-/Buchstabendreher beim Lesen/Schreiben
    • Schlechte Ordnungsfunktionen: Probleme Sprachaufbau, Rechtschreibung, Entwicklung von Vorstellungen und Begriffen
    • Probleme Richtungs- und Bewegungsanweisungen zu befolgen
    • Gleichgewichtsprobleme: enger Zusammenhang zur Augenmotorik (Augen können nicht fokussieren, Schrift scheint sich zu bewegen, zu verschwimmen)
    • Meiden Schaukeln oder Karussellfahren

STNR: Symmetrisch Tonischer Nackenreflex
Der Symmetrisch Tonische Nackenreflex entsteht erst während der Geburt, verschwindet wieder und taucht um den 6. - 9. Lebensmonat wieder auf. Er wird als sogenannter Brückenreflex bezeichnet, um als Übergang vom TLR zum Krabbeln zu dienen. Er ermöglicht eine unabhängige Bewegung des Ober- und Unterkörpers und dient ebenfalls dazu, die Schwerkraft zu bewältigen.
  • Der STNR als Ursache von Auffälligkeiten
    • Hyperaktives Verhalten, motorisch unruhig
    • Schwierigkeiten Augen zu fokussieren (ab-, schreiben und lesen)
    • Schlechte Haltung: Oberkörper sackt (v.a. am Schreibtisch) beim Sitzen zusammen und Beine werden gestreckt oder Oberkörper ist überstreckt und Beine sind angewinkelt (Kind sitzt z.B. drauf) oder um die Stuhlbeine gewickelt
    • Tollpatsch-Syndrom, ungeschickt (Sport, Bewegungsabfolgen,...)
    • Unkoordinierte Bewegungen (z.B. schwierig schwimmen zu lernen – kann nicht im Wasser liegen)
    • Ober- und Unterkörper arbeiten nicht gut zusammen
    • Kinder sitzen häufig in "W-Beinhaltung" (Zwischenfersensitz) am Boden
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