Bereits im Mutterleib kann man beobachten, dass Babys an ihren Fingern saugen, sie trainieren schon früh ihren Saugreflex, um nach der Geburt trinken und schlucken zu können.
Dieser Saug- und Schluckreflex gehört zu den frühkindlichen oder primären Reflexen – es handelt sich um automatisierte Bewegungen, die uns schon im Mutterleib gewisse Bewegungen trainieren lassen, bei der Geburt und vor allem in ersten Jahr helfen, bewusste Bewegungskontrolle zu erlangen, um uns aufzurichten und schließlich gehen zu können. Die ersten entwickeln sich bereits in der 5. – 8. SSW und mit zunehmender Ausreifung des Nervensystems integrieren sie sich nachgeburtlich in komplexere Bewegungsabläufe - sie alle bleiben jedoch lebenslang im Hintergrund bestehen, damit sie uns im Notfall schützen und uns das Überleben sichern.
Geschieht diese Integration der frühkindlichen Reflexe nicht vollständig, kann das vielfältige Auswirkungen auf den Körper und auch den Geist haben. Sie bilden nämlich einerseits das neurophysiologische Fundament für bewusste Bewegungskontrolle, andererseits aber auch für Verhaltens- und Aufmerksamkeitssteuerung, Kommunikation und kognitiven Fähigkeiten. Deshalb kommt es bei nicht bzw. mangelhaft integrierten frühkindlichen Reflexen nicht nur zu Auffälligkeiten in der Körperhaltung (zu starker oder zu schlaffer Muskeltonus), sondern auch zu Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten und Lernstörungen (wie z.B. Lese-Rechtschreib-Schwäche).
Zahnfehlstellungen und/oder falsche Zungenlage bei nicht integrierten frühkindlichen Reflexen
Bei Zahnfehlstellungen oder einer falschen Zungenlage ist vor allem die Auffälligkeit der Körperhaltung wichtig: Reflexe wirken sich stark auf die Muskelantwort im Körper aus; viele der frühkindlichen Reflexe werden durch die Lageveränderung des Kopfes ausgelöst, was wiederum im Körper eine veränderte Muskelspannung bewirkt. Das wirkt sich auf Gleichgewicht und Stabilität aus: Sind beispielsweise die Fußreflexe nicht gut integriert (z.B. man geht eher auf den Fußaußen- oder Fußinnenkanten), so kommt es zu einem Ungleichgewicht im ganzen Körper, das unsere drei Stabilitätsachsen Füße – Becken – Kiefer stark beeinträchtigt. Das kann zu Knieproblemen, Steifheit der Hüften, Rückenverspannungen oder -schmerzen, Skoliose und eben auch Zahnfehlstellungen führen, da ein Muskelungleichgewicht im Körper entsteht.
Der anfangs erwähnte Saug- und Schluckreflex ist auch äußerst wichtig für eine gut funktionierende Mundmotorik. Ist dieser nicht gut integriert, sehen wir Kinder, die sprachverzögert sind, undeutlich sprechen, eine falsche Zungenlage, Probleme mit übermäßigem Speichelfluss und/ oder ungenügender Nasenatmung haben, was sich wiederum negativ auf das Kiefer und die Stellung der Zähne auswirkt.
Ganzheitliche Kieferbetrachtung
Hat man nur das Kiefer allein im Blick, kann es passieren, dass die Zahnregulierung nicht nachhaltig wirkt und darüber hinaus noch mehr Verspannung in die anderen Stabilitätsachsen (Füße und Becken) bringt.
Eine ganzheitliche kieferorthopädische Intervention beginnt deshalb mit dem Blick auf die Körperhaltung und den Muskeltonus, der ausgeglichen und im Gleichgewicht sein muss, damit alle drei Stabilitätsachsen die kieferorthopädische Intervention mittragen können. Dabei spielt Reflexintegration eine Schlüsselrolle.
© 2024 Mag. Eva Fernsebner-Hammer